Mittwoch, 12. November 2008

Stellet licht (Carlos Reygadas, 2007)

Wenn im Dunkel des Kinosaals das erste Bild auf der Leinwand erscheint, ist dies immer die Erschaffung einer Welt. Es werde Licht.

Stellet Licht arbeitetet den Filmanfang als Creatio ex nihilo besonders schön heraus. Wir sehen einzelne Lichtpunkte, bevor wir realisieren, dass es Sterne sind. In dieser mehrere Minuten dauernden Einstellung werden wir Zeuge eines spektakulären Sonnenaufgangs. Und die extrem langsame Kamerafahrt in dieser Einstellung lässt schon an Tarkovsky denken. Darüber hinaus liess sich Reygadas sicherlich auch von Dreyer und Bergman inspirieren.

Bei solchen Referenzen erwartet man natürlich einen spirituellen Film und wird recht behalten. Dennoch ist Stellet licht ein Exot mit einzigartiger Thematik: ein love triangle in einer Mennoniten-Gemeinde in Mexiko. Der Film schafft es, seinen spirituellen Gehalt vor allem durch die eindrücklichen Bilder (sprich: durch den Einsatz von Licht im Dunkeln) zum Ausdruck zu bringen. In den Dialogen werden überraschend selten theologische Fragen gestreift. Reygadas lässt einen realisieren, dass die Religion ein derart selbstverständlicher Bestandteil dieser Gesellschaft ist, dass sie nicht ständig thematisiert werden muss.

Stellet licht ist ein langsamer und minimalistischer Film. Die nicht geringe Länge, der Verzicht auf Filmmusik und die Filmsprache Plautdietsch, die wohl kaum jemand versteht, machen es dem Publikum auch nicht gerade leicht. Doch einige werden in Stellet licht eine eigenartige Schönheit und tiefgreifendes Leid erfahren.

Mittwoch, 5. November 2008

Targets (Peter Bogdanovich, 1968)

Eine schier unmögliche Aufgabe und eine grosse Chance. Unter der Bedingung, dass er Szenen des Films "The Terror" verwende, ermöglichte Roger Corman dem jungen Peter Bogdanovich sein Regiedebüt. Corman hatte Boris Karloff noch für zwei Drehtage unter Vertrag, wovon Bogdanovich Nutzen machen sollte.

Bogdanovich löste die Aufgabe mit Bravour. Er verwendete die Terror-Szenen als Film im Film und inszeniert Karloff als den alternden Schauspieler Byron Orlok, der seine Karriere lang auf stereotype Horror-Rollen limitiert wurde. Karloff gefiel das Drehbuch, er verzichtete auf zusätzlichen Lohn und bereicherte den Film mit einer einzigartigen Performance und mit mindestens einer äusserst kleveren Improvisation. Die Szene, wo der verkaterte Orlok vor dem eigenen Spiegelbild zurückschreckt, ist unbezahlbar. Targets konfrontiert den klasischen Horror-Film mit dem neuen Hollywood. Und vor allem auch mit dem neuen Publikum: die Drive-Ins sind randvoll mit Menschen, mit einem Bedürfnis nach billigen Thrills.

Durch einen zweiten Handlungsstrang thematisiert Bogdanovich den gesellschaftlichen Wandel, der sich in ersten, gewaltigen Erruptionen abzeichnet. Inspiriert von einem realen Vorfall handelt Targets von einem Mann, der sein Scharfschützengewehr willkürlich auf Menschen richtet - und abdrückt. Die Radikalität dieser motivlosen Morde erzeugt eine verstörende Atmosphäre. Bogdanovich inszeniert das Leben der wohlbehüteten Mittelschicht mit stilistischer Prägnanz als eintönige, unromantische und inhaltslose Routine. Die Morde sind ein Symptom einer an der eigenen Trägheit erkrankten Gesellschaft.

Der Höhepunkt ist die Schlussszene, in der beide narrativen und thematischen Stränge aufeinandertreffen. Bogdanovich schafft hier eine Situation mit viel Spannung und einer überaus interessanten Figurenkonstellation. Darüber hinaus überzeugt die Szene vor allem durch die Vielschichtigkeit, mit der die medialen und sozialen Aspekte des Films zueinander in Beziehung gestellt werden.

Samstag, 4. Oktober 2008

Citizen Kane (Orson Welles, 1941)

Citizen Kane ist die Geschichte eines Mannes der im Wunsch geliebt zu werden immer mehr Günde findet an sich selbst zu zweifeln, und am Ende alles veliert bis auf seine Erinnerungen und das größte Vermögen aller Zeiten. 

Diese Geschichte wird dabei so geschickt und klar auf mehrere örtliche und zeitliche Ebenen verteilt, das der Film auch heute noch frisch und aktuell wirkt.

Gleich zu Beginn sieht man Charles Foster Kane's Tod. Ein ins Nichts gehauchtes Wort, “Rosebud”, und eine Schneekugel fällt zu Boden. Von hier an übernehmen die Journalisten es, seine Geschichte von den Leuten rekonstruieren zu lassen, die sein Leben prägten, entgegen seines anhaltenden Wahns immer nur prägen zu wollen. 


Nach und nach legen sich die verschiedenen Standpunkte wie Schichten über-, und reihen sich gekonnt aneinander, und zeichnen so das Bild Kanes ohne es selbst interpretieren zu können. Dies kann am Ende nur der Zuschauer selbst.

Der Film schließt mit der Einstellung die ihn auch eröffnet, ganz so wie Kane selbst am Ende seines Lebens in Gedanken wieder dort ist, wo es anfing. Bei seiner Mutter, seinem Haus, im Schnee mit seinem Schlitten. Im Grunde ein ganz normaler Mann also.

Sonntag, 8. Juni 2008

Le Roi et l'Oiseau (Paul Grimault, 1980)

Ein wahres Trickfilm-Meisterwerk. Der Plot ist simpel, doch durch seine poetisch und abstrakt visualisierte Form einzigartig. Sehr interessant ist, dass die dominierende Achse nicht die horizontale, sondern die vertikale ist. Es geht um einen Tyrannen, der von den Unterdrückten, angeführt von einem Vogel, zu Fall gebracht wird. Der Vogel steht für Freiheit, denn er kann sich in der Vertikalen frei bewegen, und für Individualität.

Auch auf der Handlungsebene spielen Bilder eine entscheidende Rolle. Der vertikal ausgerichtete Palast ist überladen mit Abbildern des Königs. Zwangsarbeit besteht darin, diese Statuen und Gemälde herzustellen und auf Frevel gegen Bilder des Königs steht die Todesstrafe (in einem Gesetzbuch, das nur aus Bildern besteht). Seine Bediensteten bestraft der König für ihre Unfähigkeit, indem er per Knopfdruck eine Falltür unter ihnen öffnet. Wir wissen nicht wohin diese Schächte führen und wer einmal so von der Bildfläche verschwunden ist, fällt auch ganz aus der Handlung hinaus.

Die Beziehung zwischen Original und Abbild wird richtig komplex, wenn ein Portrait des Königs zum Leben erwacht und dessen Platz einnimmt. Gleichzeitig steigen auch zwei einfache Menschen aus Gemälden, die bei der Revolution eine wichtige Rolle spielen. Zentral ist dann auch ein Blinder, der in der Musik eine neue Art der Machtausübung findet.

Le Roi et l'Oiseau geht also mit dem Thema der Mach und Tyrannei der Bilder auf sehr interessante und gleichzeitig auch unterhaltsame und emotional involvierende Art um. Der Film selbst rebelliert mit seinem eigenwilligen Stil auch gegen die Bilderkonvention des (Trick)Films. Schade, dass er heute etwas in Vergessenheit geraten zu sein scheint. Aber sein Einfluss auf Ghibli lässt sich kaum bestreiten. Isao Takahata bekennt sich jedenfalls dazu.

Freitag, 6. Juni 2008

Pépé le Moko (Julien Duvivier, 1937)

Die vielschichtig verschachtelte und labyrinthische Struktur der Altstadt Algiers ist ein grossartiger Schauplatz. Sie ist für den pariser Verbrecher Pépé genauso sichere Festung, wie auch sein Gefängnis. Optisch erinnert sie durchaus an expressionistische Stummfilme aus Deutschland.

Im Zentrum der Handlung steht nicht so sehr Gewalt und Verbrechen als vielmehr die Sehnsucht nach Freiheit, Heimat, Liebe oder einfach nur dem gewohnten Glamour und Konfort. Andererseits aber auch das Katz-und-Maus-Spiel zwischen Polizei und Pépé, kompliziert durch Informanten mit wechselnden Loyalitäten.

Die Intrigen, die komplexen Freundschaften, Feindschaften und Liebschaften spiegeln die Verworrenheit der Altstadt wieder. In Stimmung und Thematik wirkt Pépé le Moko auch schon wie ein Vorbote auf den Film Noir, dem ultimativ amerikanischen Genre in dem die Stadt zum handlungsmächtigen Charakter wird.

Montag, 2. Juni 2008

Partie de Campagne (Jean Renoir, 1936)

Ein Film, der vor allem durch seine Einfachheit erstaunt und wie er in seiner Kürze (40 mins) zu einem Klimax führen kann mit einer epischen Breite an mehrdeutigen, komplexen Gefühlen. Ein Film, in dem die Details mit der übergeordneten Struktur des Plots ineinander greifen und auf allen Ebenen der filmischen Informationsvermittlung eine sehr elaborierte, eloquente Sprache ihren Ausdruck findet.

Renoirs klassische Anliegen die Klassen, die Rollen der Geschlechter, das Alter und die Jugend - also schlicht die Gesellschaft betreffend, finden sich hier in ähnlich konzentrierter Form wie in seinem ultimativen Meisterwerk La Règle du Jeu. Dabei ist auch Partie de Campagne ein cleverer und amüsanter Film. Aber auch einer, der einen tiefen Eindruck hinterlässt.

Sonntag, 1. Juni 2008

Fat City (John Huston, 1972)

Einer dieser unpolierten New Hollywood-Filme mit rauen, schwitzenden Bildern. Atmosphäre und Lebensgefühl treten absolut in den Vordergrund und benutzen Plot und Dialog nur als ihr Instrument (das ist sonst ja meist genau anders rum). Es ist ein richtiger Slice-of-Life-Film, der sich um klassische Spannungsbögen einen Dreck schert. Das Erzähltempo ist auf ein Minimum zurückgenommen, denn wie gesagt, darum geht es dem Film gar nicht.

Die Dialoge sind sehr simpel gehalten, doch ist es auch gar nicht nötig, den Charakteren mit raffinierten Sätzen künstlich psychologische Tiefe aufzudrücken. Es sind ganz klar keine flachen Figuren, doch ist eines ihrer Probleme, dass sie ihre Gefühle nicht angemessen ausdrücken können.

Schade ist, dass die Box-Szenen nicht sehr überzeugend wirken. Das fällt schon ins Auge in einem Film, der sonst stark auf Realismus setzt. Es sind dann also die staubigen Strassen, heruntergekommenen Apartments und schmierigen Bars - und natürlich vor allem die Menschen, die uns dort begegnen - welche im Gedächtnis bleiben.